Ulrike Weber (Rechtsanwältin und Kommunikationsberaterin): Litigation-PR in der Schweiz. Eine Bestandsaufnahme.
19. Mai 2009 | Autor: Gastblogger | Keine Kommentare Artikel drucken
“Litigation-PR : der Blog” begrüßt Gastautorin Ulrike Weber, Rechtsanwältin und Kommunikationsberaterin.
Vermehrt machen auch Schweizer Unternehmen, die in rechtliche Auseinandersetzungen verwickelt sind, die schmerzliche Erfahrung, dass nicht Fakten, sondern vorgefasste Meinungen unterschiedlichster Anspruchsgruppen von Bedeutung sind. Fehlende Strategien oder eine rein juristische Abhandlung der rechtlichen Auseinandersetzungen führen häufig dazu, dass innerhalb kürzester Zeit nicht nur wirtschaftliche Werte, sondern auch die über Jahre gepflegte Reputation des Unternehmens gefährdet werden.
Das kann – wie der Prozess gegen die Verantwortlichen der früheren Swissair zeigte – zu dramatischen Kursverlusten an der Börse und sogar zur Ablösung des Top-Managements führen. Damals saß fast die gesamte frühere Wirtschaftselite der Schweiz auf der Anklagebank, weil sie das Grounding des einstigen schweizerischen Vorzeigeunternehmens verschuldet haben soll. Am Ende des Prozesses gab es fast nur Freisprüche. Weder den CEOs noch den Verwaltungsräten konnte ein schuldhaftes Verhalten nachgewiesen werden. Allerdings ging es im Umfeld dieser spektakulären Gerichtsverfahren nicht nur um Gesetz und Recht. Unabhängig vom Ausgang eines Prozesses standen für die betroffenen Grossaktionäre, Wirtschaftskapitäne und Politiker ihr privates und berufliches Renommee auf dem Spiel. In früheren Zeiten wurden in der Schweiz Gerichtsverfahren gegen Wirtschaftsbosse oder Grossaktionäre als Privatsache angesehen und von der Öffentlichkeit kaum beachtet. In der heutigen globalisierten Welt werden sie von den Medien häufig zu Großereignissen hinaufstilisiert und bis ins Detail ausgeschlachtet. So vergeht seit Monaten in der Schweiz kaum ein Tag, an dem nicht im Schweizer Boulevard auf die so renommierte UBS und den Manager Ospel eingedroschen wird.
Was bereits in anderen Ländern – vor allem in den USA – mit Erfolg praktiziert wird, kommt somit langsam auch in der Schweiz an: PR-Unterstützung bei Rechtsstreitigkeiten, also Litigation-PR. Noch sind Unkenntnis, Vorurteile in Leitungsgremien und schlechte Vernetzung häufig die Gründe, warum Unternehmen oder Kanzleien nicht oder nicht rechtzeitig kommunikative Beratung einschalten. Dazu kommt eine in der juristischen Denke angelegte Scheu vor PR-Beratern. Diese Scheu abzubauen und Vertrauen zu schaffen, ist die Hürde, vor der die Litigation-PR-Experten in der Schweiz stehen. Diese Hürde versuchen sie dadurch zu überwinden, dass Chancen und Nutzen von PR aufgezeigt und Juristen bezüglich integrierter Kommunikation geschult bzw. sensibilisiert werden. Es gibt noch wenige Kommunikationsexperten, die sich auf dem Feld der Litigation-PR in der Schweiz tummeln. Häufig wird die Erfahrung gemacht, dass sich PR-Berater und Juristen immer wieder ins Gehege kommen, weil jeder seine eigenen Ziele für wichtiger hält. Dabei wird übersehen, dass sie – zumindest häufig – in gleicher Mission unterwegs sind. Doch gewinnt der Geschäftsbereich Litigation-PR an Bedeutung, das zeigt die steigende Nachfrage. Anwälte, die wie die Zürcher Anwältin Dr. Rena Zulauf bereits über ein breites Netzwerk von Fachpersonen aus Recht, PR und Werbung verfügen, sind jedoch bislang eher die Ausnahme. „Ganz allgemein liege die prozessbegleitende PR im Trend“, sagt Stefan Trechsel, emeritierter Zürcher Strafrechtsprofessor und heutiges Mitglied am Europäischen Strafgerichtshof in Den Haag. Für ihn gilt die Faustregel: Je exponierter ein bestimmter Rechtsfall und je exponierter eine involvierte Person ist, umso notwendiger und sinnvoller ist die Unterstützung durch PR-Profis.
Ein zunehmendes Bedürfnis, in rechtlichen Auseinandersetzungen PR-Spezialisten beizuziehen, konstatiert auch Rechtanwalt Eric Stupp vom Zürcher Büro Bär und Karrer. Das Anwaltsbüro Bär und Karrer nimmt die Dienste von PR-Unternehmen nicht nur bei strittigen Fällen wie im Fall Swissfirst/Matter in Anspruch. Auch bei Firmenübernahmen, die sich heutzutage nicht mehr wie früher in zwei, drei dürren Sätzen kommunizieren lassen, speziell dann wenn der Verlust von Arbeitsplätzen droht, werden Experten zu Rate gezogen.
Die Bandbreite der Litigation-PR in der Schweiz ist groß. Sie kommt im Marken-, Urheber-, Wettbewerbs- oder Patentrecht zum Zug. Wenn etwa ein Produkt aus dem Verkehr gezogen werden muss – wie das beispielsweise bei fehlerhaften Hüftgelenken der Fall war – stellt sich die Frage, wie eine bestimmte Marke wieder auf Vordermann gebracht werden kann. Oder wenn ein öffentliches Vorhaben wie der Bau eines Einkaufszentrums durch Einsprachen blockiert ist, versuchen PR-Profis, durch Vermittlung Konfliktfronten aufzubrechen und ins Stocken geratene Projekte wieder in Gang zu bringen. Zu den Kunden der prozessbegleitenden PR in der Schweiz gehören deshalb nicht nur private Firmen wie Swissair, Swissfirst und UBS, sondern auch die öffentliche Hand, Kantone und Gemeinden, die derzeit vor allem im Fegefeuer von Steuerstreitigkeiten stehen.
Besonders bei der Beratung der öffentlichen Hand ist es in der Schweiz unabdingbar, die kulturellen Gegebenheiten, die Sprache und die lokalen Besonderheiten zu kennen. Hier liegt sicher einer der Hauptunterschiede zur Litigation-PR in Deutschland. In der Schweiz prägen Mehrsprachigkeit, Föderalismus, direkte Demokratie, das Konkordanzmodell, eine dezentrale politische Struktur sowie Minderheitenschutz den Charakter des Journalismus, vor allem des politischen und wirtschaftlichen Nachrichtenjournalismus. Der Medienmarkt besteht aus mehreren kleinen, sprachlich segmentierten Märkten, auch Regionalzeitungen kommt so oft eine bedeutende Rolle zu. Durch die Lage der Schweiz in Europa gibt es trotzdem eine starke Auslandsorientierung in den Medien. Sie nehmen ihre Informationsaufgabe insbesondere bei bevorstehenden Abstimmungen sehr ernst und orientieren sich am Konsens-Fokus der Politik, anstatt sich auf ökonomisch oft erfolgreichere dramatische und konfliktzentrierte Berichterstattung zu beschränken. So ist auch ein aggressiver Ton gegenüber politischen und wirtschaftlichen Eliten selten. Solche beeinflussenden Faktoren sind in jedem Land zu finden, die öffentliche Streitkultur in der Schweiz erfordert jedoch besonderes Fingerspitzengefühl. Bis bei länderübergreifenden Prozessen ähnlich selbstverständlich wie von den Anwälten die jeweiligen geschriebenen Gesetze eingehalten werden, auch auf Kommunikationsseite ein entsprechender Austausch der jeweiligen Experten stattfindet, ist es noch ein weiter Weg – und der Litigation-PR-Blog ein zielführender Wegweiser.
Über Ulrike Weber
Ulrike Weber (34) ist deutsche Rechtsanwältin und DPRG geprüfte Kommunikationsberaterin. Sie war in der Wirtschaftsredaktion bei der Süddeutschen Zeitung und als Pressesprecherin in der Zentrale der Daimler AG tätig, bevor sie zu Pleon, Europas führender PR Agentur nach Zürich wechselte und dort die Leitung der Geschäftssparte Litigation-PR übernahm. Ulrike Weber besitzt als langjährige Kommunikationsspezialistin wie auch als Anwältin einschlägige Praxiserfahrung.
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