Georg Neureither (C. H. Beck): Ich weiß, dass mir ein Übersetzer lebt! – Litigation-PR im Kontext von Recht und Religion
7. April 2009 | Autor: Gastblogger | 2 Kommentare Artikel drucken
“Litigation-PR : der Blog” begrüßt Gastautor Georg Neureither, Schriftleiter der Fachzeitschriften Juristische Schulung (JuS) und Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) des C. H. Beck-Verlags.
Als „Übersetzungsarbeit von juristischen Zusammenhängen gegenüber Journalisten (und anderen Stakeholdern), die meist keine Juristen sind“, beschreibt Tobias Gostomzyk Litigation-PR. Der Aspekt ist nicht der einzige, doch ist er wichtig und wertvoll. Vor allem ist er – im besten Sinne des Wortes – rechtschaffen.
Ein Feld, das von jeher und, wie mir scheint, mehr und mehr des Übersetzens bedarf, ist das Staatskirchenrecht. Zwei Beispiele sollen zeigen, dass Litigation-PR hier ein sinnvolles Anwendungsfeld finden kann.
Der Kruzifix-Beschluss
Im Mai 1995 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die Anbringung eines Kreuzes oder Kruzifixes in den Unterrichtsräumen einer staatlichen Pflichtschule, die keine Bekenntnisschule ist, gegen die Religionsfreiheit verstößt; zugleich erklärte es eine Vorschrift der bayerischen Volksschulordnung für nichtig, die die Anbringung eines Kreuzes in den Klassenzimmern der bayerischen Volksschulen anordnete.
Man musste kein Hellseher sein, um zu ahnen, dass diese Entscheidung polarisieren und ein übergroßes Echo finden würde: 250.000 Briefe sollen dazu beim Bundesverfassungsgericht eingegangen sein (siehe den Nachweis bei Helmut Schulze-Fielitz, in: Gunnar Folke Schuppert/Christian Bumke, Bundesverfassungsgericht und gesellschaftlicher Grundkonsens, 2000, S. 111 ff. [128]). Hinzu kam: Nach der Entscheidung ging in Karlsruhe einiges schief – rechtlich, aber vor allem kommunikativ. Missgeschick 1: Das Gericht veröffentlichte den Beschluss nicht im Mai, sondern im August – mitten in den Sommerferien u. a. von Bayern. Hoffte man, der Karlsruher Spruch könnte dort unbemerkt bleiben? Kommunikation selbstbewusster Jurisdiktion ist dann etwas Anderes. Andere meinen hingegen, dass gerade die Veröffentlichung in der „Saure-Gurken-Zeit“ die öffentliche Aufregung weiter erhöht hat (z. B. Schulze-Fielitz, aaO, S. 130 f.). Sei’s drum: Beide Male liegt jedenfalls der ungute Verdacht nahe, der „rechte Zeitpunkt“ sei Mittel zum Zweck gewesen. Missgeschick 2: Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts enthielt Formulierungen, die schon für sich genommen die Gegner der Entscheidung zum Widerspruch reizen mussten (v. a. die Wendung, die Schüler müssten „unter dem Kreuz“ lernen [Anführungszeichen – zum Zeichen wofür? – im Original!]). Das Gericht selbst errichtete damit Hindernisse für eine sachliche Debatte. Missgeschick 3 war ein handwerklicher Fehler: Der erste Leitsatz der Entscheidung war nicht hinreichend präzise abgefasst. Zwölf Tage nach der ersten Pressemitteilung sah sich das Gericht daher zu einer zweiten Pressemitteilung veranlasst, in der der Vorsitzende des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts, Vizepräsident Johann Friedrich Henschel, den ersten Leitsatz sprachlich dahin „präzisierte“, dass die staatlich angeordnete Anbringung eines Kreuzes oder Kruzifixes in den Unterrichtsräumen einer staatlichen Pflichtschule, die keine Bekenntnisschule ist, gegen die Religionsfreiheit verstoße; nur darüber sei entschieden worden.
Man kann in dem Geschehen unschwer noch weitere Ungeschicklichkeiten entdecken, z. B. die Verletzung einer Stil- oder Klugheitsregel der Öffentlichkeitsarbeit des Bundesverfassungsgerichts, dass Richter durch ihr Urteil sprechen, dieses aber nicht kommentieren (so Jutta Limbach, Die Akzeptanz verfassungsgerichtlicher Entscheidungen, 1997, S. 2). Ergebnis jedenfalls war allenthalben Erregung und Verwirrung. Die Vermittlungsarbeit, die die Pressemitteilung leisten sollte, war verfehlt, die Übersetzung gescheitert.
Gewiss ist der Fall ziemlich einmalig, doch sind die Dinge im Staatskirchenrecht vorwiegend so; zu nennen sind nur die Stichworte „Kopftuch“, „Scientology“ und „Islamunterricht“. (Und im Kirchenrecht sind sie es nicht minder; letztes Beispiel: der Fall „Richard Williamson“).
Das Bundesverfassungsgericht reagierte jedenfalls schnell und professionell: Schon Anfang 1996 wurde eine eigene Pressestelle eingerichtet (Schulze-Fielitz, aaO, S. 127), deren Arbeit nicht hoch genug gelobt werden kann. Dass das Staatskirchenrecht andererseits auch Beispiele einer außerordentlich gelungenen juristischen Kommunikation aufweist, zeigt der zweite – wiederum nahezu einmalige – Fall:
Der LER-Vergleich
Gestritten wurde, verkürzt gesprochen, darum, ob das Land Brandenburg das Unterrichtsfach „Lebensgestaltung – Ethik – Religionskunde“ (LER) einführen und dadurch den bekenntnisgebundenen Religionsunterricht durch eine bekenntnisneutrale Religionskunde ersetzen durfte.
Das Verfahren war schon rund fünf Jahre beim Bundesverfassungsgericht anhängig und, wie die Positionen, festgefahren, als es zur mündlichen Verhandlung kam. Nun sind mündliche Verhandlungen in Karlsruhe einigermaßen selten. Leider, denn viel mehr als Entscheidungen bieten sie die Gelegenheit, nachhaltig Rechtsfrieden herzustellen (siehe zu den Vorzügen der mündlichen Verhandlung Limbach, aaO, S. 13). Das gelang auch hier: Im Hinblick auf den offensichtlich gelungenen Verlauf der mündlichen Verhandlung teilte das Gericht den Beteiligten mit, dass es – so die Pressemitteilung – „erwäge vorzuschlagen, über den Verfahrensgegenstand eine einvernehmliche Verständigung herbeizuführen“. Es bot seine Mithilfe an, „die die Unterbreitung eines konkreten Vorschlags umfassen kann“. Die Beteiligten wurden gebeten mitzuteilen, ob grundsätzlich die Bereitschaft zu einer derartigen Verständigung besteht.
Das Bundesverfassungsgericht – unus inter pares! Wann hat man das gesehen? Ergebnis: Die Bereitschaft bestand, der Vorschlag wurde unterbreitet, von nahezu allen Beteiligten angenommen, so dass das Verfahren nach sechs Jahren im Kern durch den Vergleich beendet werden konnte. Es war erst der zweite Vergleich in der Geschichte des Bundesverfassungsgerichts!
Ausblick mit Rückblick
Die Spannweite der beiden Fälle zeigt, was mit professioneller Kommunikation verhindert und was erreicht werden kann. Vergegenwärtigt man sich zusätzlich, dass Kenntnisse über Religion in der Gesellschaft im Schwinden begriffen und über Recht von jeher gering sind, wird ohne Weiteres ersichtlich, dass beide Bereiche der Vermittlung, des Übersetzens bedürfen. Kommen im Staatskirchenrecht Recht und Religion gar in einer „Gleichung mit zwei Unbekannten“ zusammen, wird klar: Litigation-PR findet hier ein sinnvolles Anwendungsfeld!
Über Georg Neureither
Georg Neureither ist Schriftleiter der juristischen Fachzeitschriften Juristische Schulung (JuS) und Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) in der Frankfurter Niederlassung des C. H. Beck-Verlags. Darüber hinaus ist er Leiter der Frankfurter Online-Redaktion des Verlags.
Georg Neureither studierte Rechtswissenschaften in Heidelberg und Jena. 2001 wurde er zum Dr. jur. promoviert. Als Fachautor hat er sich insbesondere im Staatskirchenrecht einen Namen gemacht.
Profile & Kontakt
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Weitere Beiträge
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- Tobias Gostomzyk: „Basics aus der Wissenschaft I: Die Rechtswirklichkeit der Massenmedien“
- Jens Nordlohne: „Von Litigation-PR und Rasierklingen“
Kommentare
2 Kommentare zu “Georg Neureither (C. H. Beck): Ich weiß, dass mir ein Übersetzer lebt! – Litigation-PR im Kontext von Recht und Religion”
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April 14th, 2009 @ 16:41
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https://blog.beck.de/2009/04/14/litigation-pr-durch-das-bverfg
April 14th, 2009 @ 19:09
Ein erhellender Beitrag – das Staatskirchenrecht scheint ein sinnvolles Betätigungsfeld für Litigation PR zu eröffnen.
Allein der Begriff kann ja schon verwirren: denn mit Kirchenrecht hat dieses Gebiet des öffentlichen Rechts nichts zu tun.
Die nachweisbaren Fehler in der Öffentlichkeitsarbeit des Bundesverfassungsgerichts beim Kruzifix-Urteil machen im Nachhinein deutlich, wie sensibel die Kommunikation rechtlicher Sachverhalte insbesondere beim Thema Religion und Weltanschauung anzugehen ist. Auch wenn es sicher nicht gelingt, bei diesem Thema eine „sachliche Debatte“ auszulösen – denn dazu ist es zu emotional besetzt – würde Litigation PR aber über die Übersetzung des juristischen Urteils hinaus bereits in der strategischen Planung der Kommunikation diese „weichen Faktoren“ mit einzuplanen haben. Überhaupt ist das Kruzifix-Urteil ein klassisches Beispiel dafür, wann strategische PR besonders relevant wird: nämlich immer dann, wenn es um emotional besetzte Themen geht. Der Grundtenor des Urteils ist positiv: es geht um Religionsfreiheit, um den Blick über den konfessionellen Tellerrand, um das Nebeneinander von Weltanschauungen und letztlich um Toleranz. Und auch darum, dass der christliche Glaube nicht dadurch an Bedeutung verliert, wenn entschieden wird, dass das staatlich angeordnete Anbringen „eines Kreuzes oder Kruzifixes in den Unterrichtsräumen einer staatlichen Pflichtschule, die keine Bekenntnisschule ist, gegen die Religionsfreiheit verstößt“. Im Gegenteil: man kann hierin sogar christliche Werte erkennen. Diese Aspekte des Urteils kamen in der öffentlichen Wahrnehmung zu kurz.